DER MANN FÜR GROSSE SUMMEN

Stefan Fischer. Süddeutsche Zeitung 2. August 2003

 

 

 
 

Ignatz Bubis, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, ist als bedächtiger Mensch in Erinnerung geblieben. Gleichwohl habe er sich seinerzeit dazu hinreißen lassen, den amerikanischen Anwalt Ed Fagan als „Arschloch" zu bezeichnen. Das jedenfalls kolportiert Michael Lissek in seinem Hör-Feature Class-action. Hero. Ob der Ausspruch verbürgt ist, spielt im Grunde keine Rolle. Bubis hat sich - das steht außer Zweifel - mehrfach äußerst kritisch über Fagan geäußert. Obwohl dem Anwalt gelungen ist, worum jüdische Organisationen sich vergeblich mühten: Er hat mit seinen Sanimelklagen veranlasst, dass Schweizer Bankendas Vermögen von Holocaust-Opfern an Angehörige rückgeführt haben und ein Fonds für Zwangsarbeiter des NS-Regimes aufgelegt wurde.

Ed Fagan ist neben dem spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón der derzeit bekannteste Jurist. Nach seinen Erfolgen in den Holocaust- und Zwangsarbeiter-Prozessen hat der umstrittene Anwalt weitere Sammelklagen angestrengt, etwa im Namen der Opfer des Bergbahnunglücks von Kaprun und des Zugunglücks von Eschede. Sein neuer, sehr spektakulärer Fall ist eine Klage gegen die US-Regierung im Auftrag von Nachfahren afrikanischer Sklaven. Es geht um die irrwitzige Summe von 9 Billionen US-Dollar.

„I'm just a hired gun", sagt Fagan über sich. Menschen, die ihn kennen, beschreiben ihn wechselweise als umgänglich, außerordentlich rücksichtslos, als vertrauenswürdig und mediengeil. Der Anwalt selbst benennt als Antrieb seines Handelns, er wolle Gutes tun und Veränderungen bewirken. Rabbi habe er ursprünglich werden wollen - und sich erst einmal als Entertainer verdingt. Während eines Studienaufenthaltes in Israel nahm der Amerikaner am Jom-Kippur-Krieg teil, er bereitete Tote für die Bestattung vor. Der Autor Lissek umkreist seinen Protagonisten, beleuchtet ihn von vielen Seiten, und kann doch kein einheitliches Bild zeichnen. Weil dieses Bild so gar nicht existiert. Fagan ist ein großartiger Selbstdarsteller; was an ihm inszeniert und was echt ist, lässt sich kaum trennen. Lissek musste großen Aufwand betreiben, mit Hilfe vieler Gewährsmänner, um sich der Person Fagans zu nahem. Sein Feature zeigt insofern auch, wie schwer sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk inzwischen mitunter tut, seinem Bildungsauftrag nachzukommen. Es bedurfte vierer ARD-Anstalten und des ORF, um ein ambitioniertes, aber letztlich doch gewöhnliches Porträt finanzieren zu können.

 

 

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